Pressemitteilung

Kundgebung in Leinfelden-Echterdingen

Einzelhändler wollen nicht mehr leise leiden

 


 

 

Die Einzelhändler haben eigentlich nur diese eine Bitte. Foto: Jacqueline Fritsch

In Leinfelden-Echterdingen haben sich Geschäftsleute zu einer Kundgebung versammelt und die Öffnung des Einzelhandels gefordert. Sie sagen, es gehe so nicht mehr weiter.

Von Jacqueline Fritsch
25.02.2021 - 14:12 Uhr

 

Leinfelden - Britta Hornickel ist Einzelhändlerin. In Zeiten der Coronapandemie ist das Beschreibung genug, um erahnen zu können, wie es ihr geht. „Man sitzt zu Hause und ärgert sich. Man sitzt im Laden und ärgert sich“, sagt sie. Dieser Zustand müsse nun ein Ende haben, deshalb hat Britta Hornickelandere Einzelhändler aus Leinfelden-Echterdingen zu einer Kundgebung zusammengetrommelt. „Wenn wir nächste Woche nichts Positives von der Politik hören, machen wir Filderstadt und andere mobil“, sagt Hornickel, „und wenn wir einen Marsch nach Stuttgart runter machen. Egal was, wir zeigen, dass wir nicht mehr aufhören.“

Annähernd 20 Einzelhändler haben sich am Mittwoch dieser Woche auf dem Neuen Markt versammelt, um eine Botschaft an die Politik zu senden: „Lasst uns öffnen“. Die Veranstalter Britta Hornickel und Ilona Koch, CDU-Gemeinderätin, betonen, dass sie keine Gegner der Coronamaßnahmen oder gar Querdenker sind. Sie wollen sich nur gegen die Ungerechtigkeit auflehnen, die die Coronapolitik ihrer Meinung nach mit sich bringt. „Warum dürfen große Händler ihr volles Sortiment anbieten und es sogar noch erweitern?“, fragt Britta Hornickel, „wir Kleinen könnten das Hygienekonzept besser umsetzen als die Discounter, die offen haben dürfen“.

Ungerechtigkeit und keine Perspektive

Es ist die Ungerechtigkeit, die die Teilnehmer der Kundgebung aufregt, außerdem die Perspektivlosigkeit. Hatice Reith hat erst vergangenen September einen Stoffladen in Leinfelden eröffnet. „Ich habe Umsatzeinbrüche von mehr als 70 Prozent“, sagt sie. Die Kunden würden sie noch nicht so gut kennen, dass sie online bei ihr einkaufen oder Click & Collect nutzen. „Bei Stoffen ist es wichtig, dass man sie anfassen kann. Es würde mir sehr helfen, wenn ich wenigstens einen Kunden in den Laden lassen dürfte“, sagt Reith.

An der Kundgebung auf dem Neuen Markt beteiligt sich auch Oberbürgermeister Roland Klenk. Er möchte, dass der Einzelhandel und die Gastronomie nach der Pandemie noch die Stadt beleben. „Die ausschließliche Orientierung an Inzidenzwerten muss ein Ende haben“, sagt er. Es sei notwendig, dass die Kundgebung den Einzelhändlern über die Stadt hinaus eine Stimme gibt. „Die Stadt und der Gemeinderat stehen hinter dem Einzelhandel, auch und gerade in diesen schwierigen Zeiten“, sagt Klenk. In den kommenden Wochen werde ein neues Stadtmarketingkonzept aufgestellt, das den Einzelhandel in den Fokus nehme.

Erhebliche Umsatzeinbußen

Die Verzweiflung unter den örtlichen Einzelhändlern ist greifbar. Britta Hornickel spricht von erheblichen Umsatzeinbußen. Sie konnte die Winterware in ihrer Wollboutique nicht vollständig verkaufen, weil im Dezember der Lockdown dazwischenkam. Nun würde die Frühjahrsware in den Regalen stehen, deren Verkauf nun nicht anlaufen kann. „Viele haben investiert. Auch ich habe ein Luftreinigungsgerät gekauft. Bei uns in den Läden kann man gut Abstand halten, und es gibt nachweislich keinen Coronafall in L.-E., der aus dem Einzelhandel kommt.“

Ilona Koch, CDU-Stadträtin, ist nicht im Einzelhandel tätig, hat im Vorfeld der Kundgebung aber mit einigen Betroffenen gesprochen. „Viele sind sehr verzweifelt und frustriert“, sagt sie, „wenn man wenigstens wüsste, bis wann und warum man zuhaben muss.“ Wenn sich die Minister der Länder am kommenden Mittwoch wieder mit der Kanzlerin über die nächsten Schritte beraten, verlangen die Einzelhändler Antworten. Wenn die nicht positiv ausfallen, plant Britta Hornickel weitere Kundgebungen und Aktionen, sagt sie. „Wir zeigen, dass wir da sind.“

Externe Quelle:

Stuttgarter Zeitung

 

 

 

 

 

Blick in die Nachbarschaft

 

Fünf Blicke auf
das Corona-Jahr

Spätestens seit März ist die Welt im Ausnahmezustand.

Was macht das mit Menschen? Von unserer Redaktion

Es dürfte niemanden geben, an

dem die Corona-Pandemie

und ihre Auswirkungen vorbeigegangen

sind. Das Virus hat die

Welt im Griff, auch wenn inzwischen

durch den Impfstoff Licht am Ende

des Tunnels zu sehen ist. Die vergangenen

Monate haben Spuren hinterlassen.

Wie sehr, das hängt auch von

den Berufen ab, mit denen die Menschen

ihr Geld verdienen.

Recht bald im Frühjahr war der

Begriff systemrelevant in aller Munde.

Beispielsweise Klinikpersonal,

Kassiererinnen, Pfleger – sie hatten

alle Hände voll zu tun. Andere Branchen

meldeten indessen Kurzarbeit

an oder mussten schlimmstenfalls

Angestellte entlassen. Wieder andere

hatten das Glück, ihren Beruf auch

von zu Hause aus ausüben zu können.

Wobei dies vor allem während

der Schul- und Kita-Schließungen

für Eltern zur echten Herausforderung

geworden ist.

Auch wenn sich die Folgen der

Krise pauschal auf Berufsgruppen

herunterbrechen lassen, so dürfte

doch jeder Einzelne ganz eigene Erfahrungen

mit der Pandemie und

ihren Folgen gemacht haben.

Wir haben mit Menschen von der

Filderebene über das merkwürdige

Jahr 2020 gesprochen und uns erzählen

lassen, wie sie mit der neuen

Normalität umgegangen sind. Das

Ergebnis sind fünf ganz unterschiedliche

Blickwinkel auf die Krise.

 

Hier den Artikel als PDF downloaden!

 

Schneiderin in Leinfelden

Großer Schritt in

schwierigen Zeiten

Zwischen Wollknäuel, Stoffen,

Knöpfen und Scheren hat sich Hatice

Reith ihr Atelier eingerichtet. Hier

näht sie Hoodies und Sweatshirts in

Kindergröße sowie Behelfsmasken. An

Silvester 2019 lautete ihr Neujahrsvorsatz,

ihre Selbstständigkeit zu intensivieren

und mehr solcher Unikate an

Mann und Frau zu bringen. Doch es

sollte anders kommen.

Reith hatte im Vertrieb gearbeitet –

und das, obwohl sie in einer Schneider-

Familie groß geworden ist. Zu Beginn

der Corona-Pandemie war Reith erst

einmal arbeitslos. Bewerbungen zu

schreiben, erschien ihr in Zeiten der

Krise aussichtslos. Sie setzte auf ihr

zweites Standbein, dass sie sich innerhalb

der vergangenen Jahre aufgebaut

hatte: das Nähen von Unikaten. Dann

hörte sie von einem Ladenlokal in

Leinfelden, das bald leer stehen würde.

Trotz des wirtschaftlichen Risikos

packte sie während des ersten Lockdowns

die Gelegenheit beim Schopf:

„Wäre es etwas gewesen, was ich nur

mit halben Herzen mache, wäre es

schwierig gewesen, die Motivation dafür

aufzubringen.“ Und obwohl zuhause

aufgrund geschlossener Kitas und

Schulen Land unter herrschte, entschied

sie sich, den neuen Weg einzuschlagen

und einen Stoffladen zu eröffnen.

Statt wie anfangs mit ihren Kindern

in den Wald zu gehen, machte sie

einen Businessplan. Ihre Tochter

musste babysitten, während Reith an

ihren Plänen feilte. Am 21. September

erfüllte sich ihr Traum vom eigenen

Ladengeschäft, und sie eröffnete

„5toff.“ Dann der Schock: ein zweiter

Lockdown. Doch Reith lässt sich nicht

aus der Ruhe bringen, sie verweist die

Kundschaft auf den Onlineshop. „Ich

hätte nie gedacht, dass ich innerhalb

von einem Jahr meinen eigenen Laden

haben würde. Es ist gut, wie es gekommen

ist. Auch wenn es schwierig war,

haben sich neue Türen geöffnet.“ esb